Erste Nationale Fachtagung Kindheits– und Familienwissenschaften an der HAW Hamburg
(KCG) Familie im Kaleidoskop der Wissenschaften – so könnte man die Erste Nationale Fachtagung Kindheits– und Familienwissenschaften am 09. und 10.02.2015 an der HAW (Hochschule für Angewandte Wissenschaften) Hamburg resümieren. Die Tagung war im besten Sinne vielseitig, bunt, immer wieder neu und aufregend.
Familie lässt sich nun mal nicht in eine Schublade stecken und besteht bekanntlich nicht nur aus Fragen rund um Erziehung. Vielmehr ist Familie von der Mikro– bis zur Makroebene in komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge eingebettet. Um so naheliegender, sich dem Thema Familie aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln und Denkrichtungen, sprich: unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen zu nähern. Hier eine kleine Auswahl interessanter Denkanstöße.
Dr. Christina Boll vom Hamburgischen WeltWirtschafts Institut stellte einige Forschungsbeispiele der Ökonomie vor, zum Beispiel eine Längsschnittstudie zum Thema Väterbeteiligung an Familienaufgaben im internationalen Vergleich. Es zeigte sich, dass eine berufliche Auszeit von Vätern am ehesten in Anspruch genommen wird, wenn die Monate nicht transferier– oder anrechenbar auf die Auszeit der Partnerin sind. Neben u. a. Erkenntnissen zum Gender Pay Gap und weiblicher Arbeitskraft gab es auch eine Berechnung zum in letzter Zeit viel diskutierten Social Freezing im Rahmen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. So scheinen die Zahlen eher zu belegen, dass sich für Frauen und Unternehmen frühere Geburten eher auszahlen als späte. Unter http://www.hwwi.org/publikationen/publikationen.html können entsprechende Papers zu den Studien heruntergeladen werden.
Bereichernd war ebenso die Perspektive der Ethnologie. PD Dr. Heike Drotbohm von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg stellte das Verständnis von Familie auf den Kapverdischen Inseln vor – und wie dieses zur Rechtfertigung von Migration instrumentalisiert wird. Durch geschickte Arrangements leiblicher und rechtlicher Elternschaft ermöglichen sich Familien die als für den sozialen Aufstieg prioritär empfundene Migration durch Familienzusammenführung z. B. nach Portugal oder in die USA. Es ist sicherlich empfehlenswert, die unterschiedlichen Definitionen von Familie in Herkunfts– und Zielländern künftig noch näher zu beleuchten.
Wie Familie hierzulande aktuell gelebt wird, zeigte Karin Jurczyk vom Deutschen Jugend Institut (DJI) anhand des Konzepts des Doing Family. Doing Family bezeichnet das Konzept von Familie als aktiver Herstellungsleistung. Familie ‚passiert‘ demnach nicht (mehr) einfach so, sondern will unter den gegebenen Rahmenbedingungen und Taktgebern wie z. B. den Arbeitszeiten der Eltern, Öffnungszeiten von Kinderbetreuung, Ärzten, Behörden oder die Taktzeiten des ÖPNV organisiert werden. Insbesondere miteinander verbrachte Zeiten, eben auch Zeiten, in denen man eigentlich nichts vorhat, in denen sich aber vielleicht beim gemeinsamen Kochen Gespräche zum Zuhören, Trösten etc. ergeben, müssen von Familien heute bewusst eingetaktet werden. Als weiterführende Literatur sei hier auf das entsprechende Buch verwiesen: Jurczyk, Karin/Lange, Andreas/Thiessen, Barbara (2014): Doing Family. Warum Familienleben heute nicht mehr selbstverständlich ist. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Ebenfalls vom DJI kam Prof. Dr. Sabine Walper, die mit Studien aus der Scheidungsforschung belegte, dass Trennung nicht per se nachteilig für Kinder sei. Vielmehr gehe es um ein gelingendes Co-Parenting. Sind sich die (getrennten) Sorgeberechtigten in grundlegenden erzieherischen Dingen einig, habe die Familienform wenig Auswirkung auf das Wohlergehen der Kinder. Tiefgreifende Konflikte zwischen den Sorgeberechtigten wirkten allerdings als ein starker Risikofaktor auf die kindliche Entwicklung. Hingewiesen wurde insbesondere auf die überschätzte Rolle der Kontakthäufigkeit zum getrennt lebenden Vater und auf die Belastungen insbesondere für ältere Kinder durch Doppelresidenzmodelle, insbesondere bei starren Arrangements. Diese Erkenntnisse wurden als besonders relevant für die oft auf anderen Vorannahmen basierende Rechtsprechung empfunden.
Zusammenfassend seien noch die Beiträge aus dem Panel „Krankheit und Gesundheit“ erwähnt, in denen es insbesondere um Wohlbefinden und Gefühle ging. Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer vom Universitätskrankenhaus Eppendorf in Hamburg (UKE) berichtete über Studien zur psychischen Gesundheit von Kindern und kam zur Erkenntnis, dass die in der Medienberichterstattung vielbeschworene Zunahme psychischer Auffälligkeiten bei Kindern empirisch so nicht belegt sei. Darüber hinaus stellte sie ein gutes Familienklima als den größten Resilienzfaktor dar – wie sich die Eltern fühlen, so fühlen sich auch die Kinder.
Auch Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort (UKE, Altonaer Kinderkrankenhaus) berichtete aus seiner Praxis zur Diagnose Disruptive Mood Dysregulation Disorder, dass er neben allen fachlichen Anstrengungen insbesondere Elternarbeit leiste. Ergänzt wurde dieses Panel noch um den Beitrag zum emotionalen Familienklima von Prof. Dr. Wolfgang Hantel-Quitmann von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW), dem Gastgeber dieser Tagung.
In der abschließenden Podiumsdiskussion wurden die Emotionen und Fakten der Tagung nochmals auf einen Punkt gebracht. Der Ansatz, Familie aus den unterschiedlichsten Positionen zu beleuchten, wozu auch der Studiengang Familienwissenschaften an der HAW angetreten ist, erweist sich aus Sicht der Beitragenden als besonders fruchtbar. Es wäre wünschenswert, die Arbeit zu systematisieren und ein fundiertes Knowledge Management zu etablieren, insbesondere im Hinblick auf die Beratung von Familienpolitik und der damit verbundenen Schaffung von Rahmenbedingungen für Familie. Hierzu wurde mehrfach der Wunsch geäußert, auch Juristen in den Diskurs mit einzubeziehen. Die treffen wir bei der hoffentlich nächsten Fachtagung.
Das komplette Tagungsprogramm.